Leicht zu lesen, ist halb gewonnen – eine barrierefreie Schriftwahl hilft, verstanden zu werden
Hast du schon einmal versucht, einen Text in Frakturschrift zu lesen? Wenn ja, dann weißt du, wie mühsam das sein kann. Dabei war die Frakturschrift über mehrere hundert Jahre (bis ins 20. Jahrhundert hinein) so etwas wie die Standard-Buchdruckschrift für deutschsprachige Werke. Doch heute sind wir nicht mehr an die gebrochenen Buchstabenformen gewöhnt und brauchen lange, um sie zu entziffern. Schlecht für den Lesefluss! Außerdem wurde in den gebrochenen Schriften noch das »lange s« verwendet, bitte nicht mit einem f verwechseln – das klingt sonst komisch.
Du fragst dich jetzt vielleicht, was diese Geschichte soll. Keiner käme heute auf den Gedanken, einen längeren Text in Fraktur zu setzen. Stimmt! Und doch sehe ich immer wieder gedruckte oder digitale Texte, die in schlecht lesbaren Schriften daherkommen. Der Klassiker ist die unleserliche Speisekarte vom Restaurant nebenan. Die Wahl der Schrift bestimmt mit, ob deine Inhalte gelesen werden (können) – gut, wenn eine Bedienung in der Nähe ist, die die Speisekarte auswendig kann.
Eigentlich eine wenig überraschende Erkenntnis: Schrift beeinflusst die Informationsaufnahme. Doch gerade im Zusammenhang mit der viel diskutierten Barrierefreiheit, die Unternehmen bereits digital gewährleisten müssen, ist sie ein wichtiger Faktor.
Typografie (oder kurz »Typo«) bezeichnet die Lehre und das Gestalten von und mit Schrift. Für mich als Gestalterin mein täglich Brot – oder auch Kuchen, da ich es gerne mache. Bei der Wahl der »richtigen« Schrift für ein Designprojekt geht es nicht um »die find ich schön«, sondern um »die passt zur Zielgruppe und dem Projekt«.
In diesem Beitrag soll es um die Wahl gut lesbarer Textschriften gehen. Warum ist das auch für Unternehmen relevant? Wie wähle ich eine Schrift aus? Welche Kriterien gibt es? Gibt es Schriftempfehlungen? – All das werden wir näher beleuchten, inklusive meiner 5 Tipps für die Schriftwahl, die deinen Content unterstützen.
Also: Setz deine Lesebrille auf, jetzt geht es los!
Kleiner Exkurs: Es gibt gestalterische Fälle, da steht der Charakter einer Schrift im Vordergrund, manchmal mehr als die Lesbarkeit. Bei Logoschriften, die die Markenidentität hervorheben sollen, ist das häufig der Fall. Coca-Cola, Milka oder Kellogg’s haben keine barrierefreien Logoschriften – ist auch nicht ihr Ziel.
Auch bei Überschriften, zum Beispiel in Magazinen, kann der Fokus auf einer charaktervollen Gestaltung liegen. Dafür werden dann extravagante Displayschriften (Display Fonts) verwendet. Vorteil ist, dass diese normalerweise nur für große Schriftgrößen (Schaugrößen) angewendet werden. Das Wort »Display« bezieht sich im Übrigen nicht auf Geräteanzeigen, sondern auf das Verb »to display«, etwas zur Schau zu stellen.
Warum solltest du dich überhaupt mit gut lesbaren Schriften beschäftigen?
Barrierefreiheit ist ein neues »Buzzword« geworden, das einem vielstimmig aus dem Onlinebereich entgeinschreit. Ein sperriges Wort, das aber eine wichtige Bedeutung hat: die einfache Zugänglichkeit von Inhalten für jeden. Es geht darum, unser Umfeld für alle Menschen gleichermaßen nutzbar zu gestalten. Zugegeben, ich habe da früher auch nicht viel drüber nachgedacht – finde es aber heute umso wichtiger. Und zwar nicht nur im Onlinebereich!
Ein Argument für eine gut lesbare Schrift ist: Sie macht das Lesen angenehmer und wir bleiben eher dabei. Schrift ist einer deiner Informations-Lieferanten an deine Kundschaft, aber auch an deine Mitarbeitenden. Eine gut lesbare Schrift kann die interne und externe Kommunikation verbessern.
Jetzt mal ganz konkret: Bei welchen Anwendungen sollte man besonders auf eine barrierefreie Schriftwahl achten?
1. Bei öffentlichen Ausschreibungen, da öffentliche Institutionen besonderen Wert darauf legen. Ich selbst habe schon Publikationen für öffentliche Einrichtungen gestaltet, bei denen Barrierefreiheit im Print eine Grundvoraussetzung war.
2. Wenn du erklärungsbedürftige Produkte hast, zum Beispiel im technischen Bereich, und Anleitungen oder Quick-Start-Guides herausgibst. Eine falsche Bedienung sollte nicht auf schlecht lesbare Schriften zurückzuführen sein 😉
3. Wenn du generell für Zielgruppen tätig bist, die sehbeeinträchtigt sind. Liebe Optiker und Augenärzte, bitte überprüft Eure Kommunikationsmaterialien.
4. Wenn du mit Menschen arbeitest, die Lese- oder Lernschwierigkeiten haben – versteht sich von selbst, oder?
5. Wenn Du einen Bildungsauftrag verfolgst, sei es als Verlag oder Anbieter einer Lernplattform etc.
6. Im Recruiting wird barrierefreies Kommunizieren immer wichtiger, besonders zu Zeiten des Fachkräftemangels.
7. Wenn du ein sehr breites Zielpublikum hast und Menschen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen angesprochen werden müssen, zum Beispiel im Gesundheitsbereich.
8. Wenn Du eine Speisekarte besitzt oder ganz allgemein in der Lebensmittelbranche tätig bist – Allergene, Nährwerte und Zutaten sind wichtige Informationen, die nicht »weggestaltet« werden sollten!
Im Übrigen werden wir im Alter alle dankbar sein, wenn mehr auf Leserlichkeit geachtet wird. Denn auch wenn wir in jungen Jahren keine Sehprobleme haben, werden unsere Augen müder und ihr Licht lässt irgendwann nach.
Leserlichkeit und Lesbarkeit: Die meisten Menschen verwenden diese Begriffe synonym, allerdings gibt es einen zentralen Unterschied. Die Schriftgestaltung bezieht sich auf die Leserlichkeit (daher hätte mein Beitrag eigentlich »gut leserliche Schriften« heißen müssen). Die Lesbarkeit bezieht sich darauf, wie gut ein Text inhaltlich zu verstehen ist – also auf den sprachlichen Schwierigkeitsgrad.
Wie wir lesen, was wir lesen
Was wissen wir eigentlich übers Lesen? Drei wichtige Erkenntnisse für deinen Content:
1. Es ist erwiesen, dass wir in ganzen Wörtern lesen und der Anfangs- und Endbuchstabe sehr wichtig zur Entzifferung von Wörtern sind. Wahrscheinlich übersehen wir deshalb so schnell Tippfehler 😉 Heißt aber auch: Eindeutige Buchstabenformen helfen beim (schnellen) Lesen. Im Übrigen funktioniert diese Art zu lesen nur bei bekannten und gebräuchlichen Wörtern, nicht bei komplizierten Fachtexten.
(Der Satz oben ist ein Pangramm und enthält alle Buchstaben des Alphabets und lautet: Franz jagt im komplett verwahrlosten Taxi quer durch Bayern.)
2. Es gibt unterschiedliche Arten zu lesen. Fürs Freizeitlesen gibt es das schöne Wort »schmökern«. Wir nehmen uns Zeit und genießen. Im beruflichen Kontext sieht das ganz anders aus. Wir kriegen zahllose Nachrichten und schauen uns Blogbeiträge und Posts auf den sozialen Medien an. Hier wird nicht geschmökert, sondern gescannt! Daher müssen diese Texte auch anders aufbereitet und gegliedert sein, damit sie schnell erfassbar sind.
3. Es gibt natürlich viele gestalterische Einflussfaktoren, die mitbestimmen, wie gut wir etwas lesen können. Darunter fallen Schriftgröße, Zeilen- und Buchstabenabstand, Zeilenlänge, Textausrichtung … – dazu wird es demnächst einen weiteren Blogbeitrag geben.
Wir werden jetzt die Essenz einer Schrift beleuchten: die Buchstabenform. Die einfache Zugänglichkeit fängt nämlich schon bei den Details an.
Was macht gut lesbare (leserliche) Schriften aus? Mit 5 Tipps zu besseren Texten.
Alles beginnt bei den Buchstabenformen. Sie bestimmen das spätere Schriftbild, das sich im Textsatz ergibt. Können wir eine Form nicht entziffern, stocken wir beim Lesen oder geben gleich genervt auf. Oberste Devise ist also, missverständliche Formen zu vermeiden.
1. Tipp: Achte auf Zeichen, die verwechselt werden können.
Es gibt ein paar Buchstaben (und Ziffern), die man prüfen sollte: Eins, großes i, kleines l, außerdem großes o, Null und großes c
Zu ähnlich und leicht zu verwechseln? Das ist schon mal schlecht! Manchmal hat man Glück und es gibt Formvarianten. In einem Layoutprogramm lässt sich dann eine andere Version des Zeichens einsetzen, z. B. eine 0 mit Punkt oder Schrägstrich. Ein Beispiel für fehlende Unterscheidbarkeit ist die Schrift »Gill Sans« – 1, I, l bestehen bei ihr alle nur aus senkrechten Strichen.
2. Tipp: Lieber dynamisch als statisch oder geometrisch.
Schriften basieren auf unterschiedlichen Formenprinzipien, sind also verschieden aufgebaut:
- geometrische Schriften basieren auf geometrischen Formen (z. B. Kreisen)
- statische Schriften betonen die senkrechten Linien
- dynamische Schriften heben eher die Horizontalen hervor
Zu merken gilt: Dynamische Formen unterscheiden sich am stärksten und sind somit die erste Wahl, was gute Leserlichkeit betrifft (statisch kommt auf Rang zwei). Wichtig zu beachten ist aber, dass es zahllose Nuancen gibt, die die Schriftwirkung beeinflussen können. Das führt uns aber in diesem Artikel zu weit.
3. Tipp: Offenheit ist alles, zugeknöpfte Buchstaben kannst du nicht gebrauchen.
Gut zu erkennen sind dynamische Schriften an den offenen Buchstabenformen, zum Beispiel von a, e, c oder s. Ihre Öffnungen sind größer. Das hat den Vorteil, dass die einzelnen Buchstaben unterscheidbarer sind, auch bei einem mangelhaften Druck, ungünstigen Lichtverhältnissen oder unscharfer Sicht.
4. Tipp: Wähle nicht schwarz oder weiß – nimm grau.
Ein weiteres wichtiges Kriterium sind die Strichstärken. Es gibt Schriften, da variieren die Striche sehr stark, sind mal dick, mal dünn. Einfacher zu lesen sind Schriften mit geringen Kontrasten. Und lieber nicht zu dünn oder zu dick werden mit den Strichen, also »light«-Schnitte in kleinen Größen sind nicht zielführend, genauso wenig wie »black«. Auch sehr englaufende Schriften (condensed) solltest du vermeiden. Im Übrigen spricht man tatsächlich vom Grauwert eines Textes, der je nach Schrift und Schriftschnitt (light, regular, bold …) variiert.
5. Tipp: Überlege dir vorher den Anwendungsfall
Jetzt hast Du schon einiges zu den Merkmalen gehört, trotzdem ist die Wahl einer gut lesbaren Schrift nicht immer ganz einfach. Sehgewohnheiten spielen ebenso eine Rolle wie das Medium. Frage Dich also immer: Wofür brauche ich die Schrift? Flyer, Produktkatalog, Magazin, Anleitung, Website …?
Ich weiß, es steht noch ein Elefant im Raum: serifenlose Schriften vs. Serifenschriften!
Se…was? Serifen!
Das sind die kleinen Füßchen, die einige Schriften haben oder eben nicht. Serifenschriften werden im Print oft bevorzugt, besonders bei sehr viel Text (z. B. in einem Buch). Da die Serifen eine Linie bilden, bleibt man besser in der Zeile und verrutscht nicht so schnell. Es gibt Tests, die besagen, dass gedruckte Serifenschriften um bis zu ein Fünftel schneller gelesen werden können.
Digital sieht es schon wieder anders aus. Hier werden die Serifenlosen mehrheitlich angewendet, weil sie eine klarere Formensprache haben, ohne Füßchen und Firlefanz. Und noch eine Info am Rande: Menschen mit starker Sehbeeinträchtigung ziehen (dynamische) serifenlose Schriften für alle Texte auf allen Medien vor.
Welche Schrift wähle ich, um meinen Content gut lesbar zu machen: Schriftempfehlungen für Barrierefreiheit
Hier erstmal einige Standardschriften, die von unterschiedlichen Stellen empfohlen werden (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
- Calibri (Systemschrift Windows/macOS)
- Verdana (Systemschrift Windows/macOS)
- Lucida Sans (Systemschrift Windows)
- Open Sans (kostenlos bei Google Fonts)
- Fira Sans (kostenlos bei Google Fonts)
- FF Meta (zu kaufen u. a. bei MyFonts)
- Myriad (Systemschrift Adobe, zu kaufen u. a. bei MyFonts)
- Atkinson Hyperlegible (kostenlos und speziell für sehbeeinträchtigte Menschen entwickelt vom Braille Institute of America)
Meine Favoriten aus der letzten Zeit – das ist natürlich nur meine persönliche Meinung:
- Source Sans Pro und Source Serif Pro (kostenlos bei Google Fonts)
- PT Sans und PT Serif (kostenlos bei Google Fonts)
- Oso Sans und Oso Serif (zu kaufen u. a. bei MyFonts)
- Puffin, gerne in Kombination mit der Puffin Display (zu kaufen u. a. bei bold monday)
- Enra Sans, eventuell in Kombination mit Enra Semi (zu kaufen u. a. bei Lettermin)
- Rigby (zu kaufen u. a. bei bold monday)
- Allotrope Normal (zu kaufen u. a. bei MyFonts)
- Signo (zu kaufen u. a. bei R-Typography)
Manche sind kostenfrei, manche muss man kaufen. Einige der oben genannten Schriften habe ich für eine Publikation »gesammelt«. Trotz ihrer Ähnlichkeit haben sie auch alle einen eigenen Charakter und ich habe bewusst nach Paaren Ausschau gehalten, die ich kombinieren kann. Ich gebe zu, die Puffin gefällt mir allein schon vom Namen her (Englisch für Papageientaucher).
Halte einfach die Augen offen, du weißt jetzt, worauf du achten musst. Es gibt viele Schriften, die die Anforderungen der Barrierefreiheit erfüllen.
Ein prominentes Beispiel für barrierefreie Hausschriften (Schriften einer Marke) sind die BundesSans und BundesSerif. Der Name lässt es erahnen, sie gehören zur Deutschen Bundesregierung. Hier findest du den Styleguide (also die Richtlinien) zu den Schriften. Und falls ich das noch nicht erwähnt habe: Natürlich gibt es auch eine Norm zur Leserlichkeit (DIN 1450).
Gut lesbare Schriften sind kein Luxus, sie sind ein Vorteil
Kann man denn messen, ob eine Schrift Probleme verursacht? Nicht direkt und nicht eindeutig – es sei denn, jemand ist so ehrlich, es dir auf den Kopf zuzusagen.
Im Zweifelsfall suche dir ein paar Testleser aus deiner Zielgruppe. Online können hohe Absprungraten auf der Website, eine nur kurze Verweildauer oder eine geringe Click-Through-Rate (CTR) auf Probleme hinweisen. Allerdings kann es dafür natürlich auch andere Gründe geben.
Barrierefreiheit wird ein immer größeres Thema – und womit? Na, mit Recht! Mit kleinen Schritten kann man hier schon etwas bewirken. Achte bei deinem Content und deinen Marketingmaterialien auf gut lesbare – pardon, leserliche – Schriften. Sie bringen deine Informationen ohne Umwege ans Ziel, also direkt in den Kopf deiner Kundschaft. Beachte bei deiner Wahl die fünf Tipps:
1. Buchstabenähnlichkeit prüfen
2. dynamisches Formenprinzip bevorzugen
3. auf offene Formen setzen
4. geringen Strichstärkenkontrast und angenehme Strichstärke wählen
5. Einsatzzweck berücksichtigen
In diesem Sinne: Mach es nicht gut, sondern besser – mit Schriften, die für dich sprechen und Barrieren ab- statt aufbauen.
Wenn Du Hilfe benötigst und dir einen professionellen Blick auf deine Unterlagen wünschst, dann vereinbare einen Termin mit mir.
Und bald folgt auch noch ein Artikel zu den anderen Faktoren, die deine Texte NOCH besser lesbar werden lassen.
Quellen und weiterführende Links: